Am 20. und 21. Juni 2020 stattete Erzbischof Tichon von Podolsk, Leiter der Diözese Berlin-Deutschland, Hamburg einen erzpastoralen Besuch ab. Am 21. Juni, in der 2. Pfingstwoche, am Gedenktag aller Heiligen, die in Russland heilig gesprochen wurden, leitete der regierende Erzbischof den Gottesdienst in der Kirche des heiligen Johannes von Kronstadt. Am Vorabend hielt Erzbischof Tichon hier die Vigilfeier.
Mit seiner Eminenz dienten der Kirchenvorsteher, Erzpriester Sergej Baburin, Erzpriester Dionisy Idevain (Schwerin), Vater Gennady Sar (Hamburg), Vater Johan Suchonyak (Hamburg), Vater Pavel Bobrov (Moskau) und Diakon Archil Chikvadze (Berlin).
Beim kleinen Einzug verkündete Erzbischof Tichon das Dekret Seiner Heiligkeit Patriarch Kirill von Moskau und ganz Russland über die Auszeichnung von Erzpriester Sergij Baburin zum Heiligen Osterfest mit dem Recht, die Göttliche Liturgie mit geöffneten Türen bis zum Cherubimhymnus zu zelebrieren.
Im großen Bittgebet wurde um die Bewahrung der Einheit der orthodoxen Kirche und um die Befreiung von der todbringenden Epidemie gebetet.
Nach der Eucharistie wandte sich der regierende Bischof mit einem erzpastoralen Wort an die Teilnehmer des Gottesdienstes:
„Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Am ersten Sonntag der Petrus-Fastenzeit feiert die Heilige Kirche das Gedenken aller Heiligen, die in Russland heilig gesprochen wurden. Sie hat diese Feier ins Leben gerufen, damit wir unsere heiligen Verwandten ehren. Dank Ihrer Großtaten, Glaubensleistungen und christlichen Frömmigkeit wurde unser irdisches Vaterland zur „Heiligen Rus´“. Einer der Asketen der russischen Erde, der unserer Zeit nahe ist, ist der Heilige Johannes, Priester von Kronstadt und Wundertäter, dessen dreißigjährige Heiligsprechung wir in diesem Jahr begehen. Wie lange wurde auf diese Heiligsprechung gewartet! Ungeachtet der Drohungen, Verfolgungen, Verbote und Vertreibungen von Gläubigen wegen der Verehrung des allrussischen Vaters bewahrten die Kinder der Kirche Christi, die orthodoxen Christen, ihre Liebe zu Vater Johannes, und spürten stets die Kraft seiner Gebete und erhielten, worum sie baten. Er war und bleibt der Fürbitter all derer, die sich mit Glauben und Hoffnung an ihn wenden, um Hilfe und Fürsprache.
Aber was zog all diese leidenden, vergessenen, wertlosen, dem Untergang geweihten Menschen zu ihm hin? Worin unterschied er sich von anderen, und was lag seinem priesterlichen Dienen zugrunde? Das Gebet, Brüder und Schwestern, Seine Gebete für die Nächsten. Er unterschied sich von anderen durch seine Feinfühligkeit und sein Mitgefühl für den Kummer der Menschen, der ihm im persönlichen Gespräch ausgedrückt wurde oder in Briefen. Er empfand Mitgefühl mit denen, die sich an ihn wandten, und verstand, dass er nur durch das Gebet zu Gott, dem Arzt der Seelen und Körper, den Leidenden helfen konnte. Und deswegen betete er für alle inbrünstig und flammend zu Gott, sowohl vor dem Altar, wenn er täglich die Göttliche Messe hielt, als auch in der Stille seiner bescheidenen Zelle.
„Scheue keine Mühe“, sagt Vater Johannes, „für das Herzensgebet, selbst dann, wenn du den ganzen Tag gearbeitet hast. Vernachlässige es niemals im heiligen Gebet, Dein ganzes Herz dem Herrn auszuschütten, denn siehe, dies ist eine gottgefällige Tat.“ „Wenn du jemandes Fehler berichtigen möchtest, dann denke nicht daran es mit eigenen Mitteln zu versuchen: wir selbst verderben die Sache eher durch unsere Leidenschaften… „Legt dem Herrn eure Sorgen auf“ (Psalm 54,23) und bete von ganzer Seele zu Ihm, der „Herz und Leib“ (Psalm 7,10) prüft, damit Er selbst Herz und Verstand des Menschen erleuchte. Wenn Er sieht, dass dein Gebet Liebe atmet und von ganzem Herzen kommt, dann wird Er deinen Herzenswunsch sicherlich erfüllen, und du wirst schon bald eine Veränderung an dem Menschen wahrnehmen, für den du gebetet hast.
Der Apostel Jakobus, Brüder und Schwestern, schreibt in seinem Brief: „Betet füreinander!“ (Jakobus 5,16). Einfache Worte, aber wie viel Sinn liegt in diesem Aufruf, in diesen Worten! Denn das Gebet für die Nächsten ist die wirksamste und direkteste Art der christlichen Hilfe. Alle anderen Werke der Barmherzigkeit sind wichtig, aber nichts geht über die Bedeutung unseres Gebets füreinander. Und so spricht der Lehrer des Gebets, der Kronstädter Hirte: „Um Vergebung der Sünden eines anderen bete so, wie du um die Vergebung deiner eigenen Sünden betest … und du wirst vom Herrn eine Fülle von geistigen Gaben erhalten, Gaben des Heiligen Geistes, Der die Seele liebt, die sich für die Erlösung einer anderen erwärmt.“
„Das Gebet für andere ist auch für den Betenden selbst nützlich; es reinigt das Herz, festigt den Glauben und die Hoffnung auf Gott und wärmt die Liebe zu Gott und dem Nächsten.“ Die Macht eines solchen Gebets füreinander ist groß, Brüder und Schwestern. Es kann vor Gefahren schützen, und sich über die Grenzen des irdischen Lebens hinaus erstrecken. Deshalb betet die Kirche auch für das Schicksal ihrer verstorbenen Mitglieder. Wir, die wir zum Gottesdienst in die Kirche kommen, tun gut daran, all derer zu gedenken, die unser Gebet und unser Gedenken brauchen. Und ich muss daran erinnern, dass man seinen Nächsten keine größere Wohltat tun kann, als ihre Namen während der Heiligen Messe nennen zu lassen. Diese Namensnennung lenkt die Göttliche Gnade auf sie, erleuchtet, schützt und bewahrt sie vor Not und Schaden.
Es ist nötig beten zu lernen, Brüder und Schwestern, sich zum Gebet zu zwingen. „Anfangs wird es schwierig sein“, warnt Vater Johannes, „aber dann, je öfter wir uns dazu überwunden haben, desto leichter wird es. Es ist notwendig für alle zu beten, wie für sich selbst, mit gleicher Aufrichtigkeit und Wärme; man muss die Schwächen anderer für seine eigenen Schwächen und Krankheiten halten, ihre geistige Unwissenheit, Sünden, Leidenschaften, Versuchungen, Unglück und Sorgen für seine eigenen Versuchungen, Unglück und Leiden halten. Ein solches Gebet wird vom Himmlischen Vater mit großer Freude angenommen.“
Wenn wir jetzt gemeinsam den Heiligen und Gerechten Johannes von Kronstadt, den Wundertäter und alle Heiligen, die auf russischer Erde heilig gesprochen wurden, verehren, dann lassen sie uns eine Lektion für uns selbst lernen dabei: Alle Heiligen haben sich Gott angenähert und haben ihre Heiligkeit und christliche Vollkommenheit durch das Gebet erreicht. Das Gebet hat die Heiligen in allem begleitet. Darum lasst uns unsere Heiligen nachahmen und uns ihre heiligen Sitten und Gebräuche aneignen. Lasst uns das Beten lernen. Wenn uns jemand darum bittet, für ihn zu beten, werden wir es ihm nicht ausschlagen. Dann Erinnern wir uns an den Lehrer des Gebets, Vater Johannes von Kronstadt, der es niemals verweigert hat. Denn daran, Brüder und Schwestern, wie viel wir beten, kann man merken, wie sehr wir Gott und einander lieben. Amen.“
Nach der Liturgie vollbrachte der Klerus die Verehrung vor den Ikonen „Allerheiligen, in Russland heiliggesprochenen“, und des „Heiligen und Gerechten Johannes von Kronstadt“, des „allrussischen Vaters“, dessen Heiligsprechung in diesem Jahr 30-jähriges Jubiläum feiert.
Predigt von Erzpriester Sergij Baburin Hamburg, den 7.6.2020 Pfingsten
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes! Frohe Pfingsten, liebe Brüder und Schwestern! Die Erinnerung an die Evangelischen Ereignisse, die Herabsendung des Heiligen Geistes auf die Apostel, wird als der Geburtstag der Kirche bezeichnet. Und das ist sicherlich ein sehr wichtiges Thema für uns, weil wir gläubig sind und zur Kirche gehen. Aber was ist denn diese „Kirche“, die an diesem Tag geboren wurde? Das ist natürlich für uns alle eine sehr wichtige und bedeutende Frage. Denn wir sind oft geprägt von den sprachlichen Stereotypen, deren wir uns bedienen, und von unseren Gewohnheiten. Oft benutzen wir folgenden Ausdruck: „Heute gehe ich in die Kirche.“ Es ist immer wichtig, zu verstehen, was wir damit meinen. Ist es einfach eine Gewohnheit in die Kirche zu gehen, weil es mir dort gefällt, es viele nette Menschen und Bekannte gibt, ich dort für meine Nächsten beten kann, meine Seele zur Ruhe kommt und ich mich dadurch wohl fühle. Oft hört man auch – und ich möchte absichtlich, bevor ich auf die Kirche zu sprechen komme, auf einige Wort-Parasiten aufmerksam machen – die Leute sagen, dass es die Kirche dafür gibt, dass dort bestimmte Rituale abgehalten werden. Neulich erst, als ich einen Menschen aussegnete, fragten mich seine Verwandten nach der Beerdigung: „Welche Rituale sollen wir noch durchführen außer dem, was Sie bereits getan haben?“ Ich fragte: „Was meinen Sie?“ „Nun, es gibt da das vierzigtägige Gedenken, die Totenoffizien, Spiegel abhängen, Gabeln wegräumen, vielleicht noch etwas?“ Im Verständnis der Menschen ist ein Ritual eine wichtige, sakrale, mystische Handlung. Es ist im Verständnis dieser Menschen überhaupt nicht wichtig sie zu verstehen. Aber sie ist etwas sehr Sprechendes über eine völlig andere Realität. So betrachtet hat ein Ritual etwas von heidnischer Magie. In diesem Fall wird die Kirche wahrgenommen als Büro für rituelle Dienstleistungen. Oft wird auch gesagt: „Ich gehe in die Kirche, um meine religiösen Bedürfnisse zu befriedigen.“ Das ist eine Formulierung, die man sehr oft hört. Die Menschen haben ja wirklich die unterschiedlichsten Bedürfnisse. Und es gibt verschiedene Orte, an denen diese Bedürfnisse befriedigt werden. Und die Kirche ist eben der Ort zur Befriedigung religiöser Bedürfnisse. Gewiss hat all das keinerlei Beziehung zu der Kirche als Sakrament, über die wir heute sprechen und zu der wir alle gehören. Und es muss auch gesagt werden, dass wir diese völlig fremden Begriffe, die der Kirche anhaften und überhaupt keine Beziehung zu ihr haben, aus unserem Bewusstsein und unserer Sprache entfernen müssen. Wenn wir über die Kirche sprechen als ihrem Geburtstag, als als einer besonders segensreichen Gegenwart auf der Erde, dann ist es wichtig sich an Ikonen zu erinnern. Ikonen sprechen eine gute, tiefe und symbolische Sprache, die uns manchmal auch wortlos verständlich ist. Die Ikone hier zum Beispiel, die auf dem Analogion liegt, die „Herabsendung des Heiligen Geistes“, entspricht der alten Ikonographie. Wir sehen die 12 Apostel im Halbkreis sitzen. Alle sind mit ihren Gesichtern in die Mitte gerichtet, die leer ist. Aber die Apostel schauen dorthin. Es ist der Ort des unsichtbaren Jesus Christus, der seinen Jüngern sagt: „Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt.“ (Matthäus, 28:20) Und die Kirche ist nichts anderes als die Gegenwart Christi unter uns. Aber gleichzeitig erinnern wir uns an die Worte des Herrn: „…ich gehe zum Vater… Und ich werde den Vater bitten und er wird euch einen anderen Beistand geben…“ (Johannes, 24:12-16). Wir sprechen heute davon, dass der Sohn nach Himmelfahrt unsichtbar bei den Jüngern geblieben ist und gleichzeitig zur Rechten des Vaters (das heißt neben dem Vater, in der Gnade, in einer Einheit mit Seinem Vater) den Geist in Seine Kirche sendet, in das Leben eines jeden von uns. So kommt mit dem Sohn der Heilige Geist in unser Leben. Und dieses erstaunliche Geheimnis eröffnet sich uns im heutigen Feiertag. Aber wenn wir darüber reden, dann müssen wir sofort etwas ergänzen: Wenn wir über die Gnade des Heiligen Geistes sprechen, dann sprechen wir über die Handlungen, in denen wir die Gegenwart des Heiligen Geistes in der Kirche spüren. Aber „Gnade“ ist ein allgemeiner Begriff, der allen Personen der Heiligen Dreifaltigkeit innewohnt. Wir können nicht sagen, dass der Heilige Geist eine Gnade, der Sohn eine andere und der Vater eine dritte habe. Es ist eine einheitliche Gnade der göttlichen Natur, derer wir teilhaftig werden durch den Heiligen Geist. Deshalb ist die Kirche der Raum, in dem wir das Geheimnis der Heiligen Dreifaltigkeit erfahren. Die Kirche kann ohne die Dreifaltigkeit nicht leben, ohne die Vorstellung, dass der Herr sich uns in seiner inneren Natur offenbart und seine Göttliche Gnade auf uns herabgesendet hat. Dies ist eine Offenbarung im Leben eines jeden von uns. Alles, was in der Kirche getan wird, jede Handlung in der Kirche geschieht nicht, weil sie alt, mystisch oder geheim ist, sondern weil Gnade in ihr vorhanden ist. Damit verbunden ist die Gnade der Heiligen Dreifaltigkeit. Die Gnade Gottes wird uns durch jedes Sakrament der Kirche geschenkt. Und das ist für uns auch sehr wichtig zu verstehen. Gleichzeitig verstehen wir, dass das ein Wunder ist. Jeder Gottesdienst, jede Handlung, die wir bewusst und mit seelischer Anteilnahme in der Kirche vollziehen, ist immer ein Wunder. Das Wunder, dass menschliche Bereitwilligkeit, Streben und Fleiß, diese Geheimnisse zu erfassen, dass diese menschlichen Willensäußerungen mit Göttlicher Gnade beantwortet werden. Natürlich verstehen wir manche Ausdrücke in der Apostelgeschichte nicht. Wir lesen: „Der Heilige Geist hat uns dorthin gesandt…“ oder „Der Heilige Geist hat uns gesagt…“. Oder einen anderen Ausdruck, den die Heiligen Väter als Mysterium verstanden: „Gib dich dem Heiligen Geist und uns hin“ (das bedeutet: „Das ist der Wille des Heiligen Geistes und damit unser Wille“). Wovon sprechen die Apostel? Und warum ist es wichtig für uns, dies zu verstehen? Die Kirche besteht seit dem ersten Jahrhundert ununterbrochen und ist unantastbar. Das heißt, wir sprechen über eine ganz bestimmte Sprache des Heiligen Geistes. Und wieder hören wir, dass die Apostel verschiedene Sprachen sprechen. Dies ist sicherlich nicht die Art von Ekstase, die wir manchmal in den verschiedenen charismatischen Gemeinschaften, die es gibt, beobachten oder hören. Es ist eine Sprache des Heiligen Geistes, die wir aufgerufen sind verstehen zu lernen. Sie und ich, wir haben es etwas leichter damit, weil wir ständig von einer Sprache zur anderen springen. Als wir hierher kamen und überhaupt nichts verstanden, kein einziges Wort, das um uns herum gesprochen wurde, und an einem grässlichen Minderwertigkeitskomplex deswegen litten und es noch heute tun, da haben wir fieberhaft nach Lehrbüchern gegriffen und versucht, etwas zu wiederholen, Konjugationen, Konjunktivneigungen und jedesmal feststellen müssen, dass es nutzlos war. Etwas blieb zwar hängen, aber es war völlig unmöglich, es anzuwenden. Die Sprache, das ist ein Raum, in dem wir hören, wahrnehmen und versuchen zu kommunizieren. Wir versuchen den Gesprächspartner zu verstehen und tun alles, damit er uns versteht. Lebendige Unterhaltung ist immer so. Und nur in lebendiger Kommunikation kann man die Tiefen einer anderen Sprache erfassen. Das haben wir alle gut gelernt, indem wir hier gelebt haben. Genau dasselbe geschieht hier. Wenn wir heimlich die Sprache der Kirche, die Sprache des Heiligen Geistes, lernen wollen, dann müssen wir in dieser Sprache leben, wir müssen in dieser Sprache kommunizieren, wir müssen diese Sprache so oft wie möglich anwenden, damit sie zu einer aktiven Sprache unseres Lebens wird und nicht nur zu einigen abstrakten Phrasen, die wir verwenden, wenn wir zur Kirche kommen oder wenn wir uns mit jemandem darüber unterhalten, was die Kirche ist. Was also ist die Sprache des Heiligen Geistes? Es ist unser Eifer zu verstehen, was Gottes Willen für unser Leben ist, was es mit unserem Leben auf sich hat, was der Herr über uns denkt und wie die Göttliche Vorsehung von jedem von uns ist. Lernen, den Willen Gottes in unserem Leben zu erkennen, Gott zu hören, seinen Willen zu hören und danach zu leben, danach zu schaffen – genau das ist der Geist des Heiligen Geistes, der sich uns allen offenbart. Und Gott gebe uns heute, wenn wir weiter beten und darum bitten, dass die Gnade des Heiligen Geistes auf uns nieder komme: „Komm und nimm Wohnung in uns…“ und wir „mit einer Stimme, mit einem Herzen“ wieder diese wunderbaren Worte ausrufen, dass wir verstehen, worum wir da eigentlich bitten. Es sind nicht nur abstrakte Phrasen. Wir bitten nicht um irgendeine innere Begeisterung, eine Ekstase, sondern wir bitten darum, Gottes Willen zu verstehen, dass der Herr uns helfe unsere Herzen zu öffnen. Dass der Herr unsere Herzen fähig macht, ihn zu hören, fähig zu ihm zu sprechen. Dies ist das Hauptziel unseres heutigen Gebets, und alles Weitere ergibt sich. Gott segne Sie alle, Brüder und Schwestern, an diesem heiligen, wunderbaren Geburtstag der Kirche, der von der lebendigen, lebensspendenden, erleuchtenden und verwandelnden Gnade des Heiligen Geistes zeugt! Heute endet der Gottesdienst nach den Regeln der Kirche hiermit nicht, sondern geht weiter. Etwa 25 Minuten lang wird die Abendvesper dieses heiligen Tages noch gelesen werden, in der die Gebete zur Heiligen Dreifaltigkeit erklingen. Das erste Gebet wendet sich an den Gott-Vater, das zweite an den Sohn und das dritte an den Heiligen Geist. Sie sind in die Vesper eingewoben. Darum: wer noch Kraft hat und Zeit, der kann für diesen Gottesdienst noch bleiben und mit ganzem Herzen in die Tiefe dieser Worte eindringen, in die Tiefe dieser jahrhundertealten Gebete der Kirche für jede christliche Seele. Gott segne Sie alle!
Erzpriester Sergij Baburin Hamburg, den 31.05.2020
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.
Wir setzen die Feiertage des Festes der Himmelfahrt fort und hören an diesem Tag, wenn wir dieser Ereignisse gedenken, wie die Jünger, die das Geheimnis dieses Festes berührt haben, mit großer Freude nach Jerusalem zurückkehren, nachdem sie den Herrn verabschiedet haben. Und hier ist die Frage der Freude: Was ist Freude? Dieses Wort hören wir oft. Wir hören, dass es für einen Menschen im Leben sehr wichtig ist, froh und glücklich zu sein. Wir wünschen es uns gegenseitig jedes Mal bei einem guten Anlass. Wir lesen bei den heiligen Vätern, dass der Mensch zur Freude erschaffen ist.
Wenn wir also über dieses Wort nachdenken, verstehen wir, dass so ein wünschenswertes Wort für jeden von uns sehr unterschiedliche Schattierungen hat. Freude kann sehr unterschiedlich sein. Es gibt eine Freude, die wir alle kennen, an die wir gewöhnt sind und die wir oft anstreben. Es ist die Freude an einem Feiertag, die Freude an der Kommunikation, die Freude an irgendeinem heiteren und lebendigen Eindruck, an irgendeiner Komödie, an Büchern, die uns für einige Zeit mit einigen freudigen Gefühlen erfüllen. Das sind lustige Geschichten, Witze. Und all dies zusammen bringt unseren Seelen freudige Momente.
Doch denken wir heute über diese Freude nach, wenn wir die Worte des Herrn hören? Er betet in seinem Gebet zum himmlischen Vater, dass seine Freude jedem seiner Jünger gesandt und gewährt werden möge. Somit sehen wir, dass der Herr uns heute nicht nur irgendeine, sondern Seine Freude wünscht. Aus der Heiligen Schrift verstehen wir, dass der Herr während seines irdischen Lebens hier auf der Welt mit Freude lebte. Das ist für uns ein bisschen ungewöhnlich. Wir sind daran gewöhnt, dass der Herr am Kreuz leidet, an das Bild des Herrn mit der Dornenkrone, wie er über den Unglauben der Jünger trauert oder wie er verstimmt die Händler aus dem Tempel verbannt. Dieses Bild mag uns irgendwie näher liegen – so ein strenger Mentor. Es stellt sich aber heraus, dass sich der Herr, als er noch bei seinem Vater war, schon gefreut hat, und während seines irdischen Lebens sich auch immer gefreut hat. Im Großen und Ganzen ist er auf diese Welt gekommen, um sich hier unter den Menschen zu freuen und uns beizubringen, uns zu freuen.
Heute denken wir darüber nach, dass es eine Freude eines alten Mannes gibt, eines Mannes, der sein gewohntes Leben lebt, und eine Freude eines Mannes, der sich allmählich verwandelt. Es ist eine besondere Freude, eine geistige Freude. Heute hören wir aus dem Heiligen Evangelium nach Johannes, dass der Herr betet, damit jeder von uns seine Freude hat, die Freude Christi.
Genau darüber sollten wir mit Ihnen nachdenken, was die Freude Christi ist und wann, in welchen Momenten, er, der Herr, sich freute. Wir verstehen aus dem Kontext der Heiligen Schrift, dass der Herr sich freute, als er den Willen seines Vaters erfüllte. Das ist ein sehr wichtiger Hinweis für uns, dass, wenn ein Mensch die Gebote Gottes erfüllt, wenn ein Mensch sehr streng darauf achtet, was sein Gewissen ihm sagt, kommt Freude in seine Seele, Gottes Freude. Wir hören davon, dass der Herr sehr oft betet. Er vermisst diese Gemeinschaft und die Freude über die Gemeinschaft mit seinem himmlischen Vater im Gebet. Und so lesen wir aus der Heiligen Schrift oft, dass er seine Jünger verlässt und allein zum Beten geht, wenn er Zeit hat – und er hat nur nachts Zeit. Das ist auch Freude, die einem Menschen im geistlichen Leben, in seinem Gebet eröffnet und geschenkt wird.
Natürlich kommt bei uns das nicht so oft vor. Häufiger träumen wir von allem Möglichen, wenn wir beten. Aber einige Bruchstücke, Minuten, Momente dieser Freude besuchen uns doch während des Gebets. Das ist die Freude, zu der uns der Herr aufruft. Der Herr freute sich, als er unter seinen Freunden war. Der Herr hatte Freunde. Er besuchte sie gern. Seine Freunde waren zum Beispiel Lazarus und seine Schwestern Martha und Maria. Der Herr fühlte sich wohl in ihrem Haus. Er kam dorthin, nicht um sich zu amüsieren, nicht um zu grillen, sondern um mit ihnen zu reden, um die Seele dieser Menschen mit wahrer Freude zu erfüllen, mit der Freude an erhabenen Gesprächen, an den Lektionen, die sie damals zu Hause hörten.
Wir sehen, dass der Herr sich freut, wenn er die Verwandlung eines anderen Menschen sieht. Wir sehen die Inspiration des Herrn nach seinem Gespräch mit einer Samariterin, wenn sie sich als Person völlig verändert hat, wie der Herr sich freut und überrascht ist, wenn er die Verwandlung eines Heiden, eines Hauptmanns, sieht, der für seinen Knecht betet, um den er sich mehr sorgt als um seinen Sohn. Der Herr ist erstaunt und sagt, dass er einen solchen Glauben in Israel nicht gesehen hat. Der Herr freut sich immer so, wie sich der Himmel über jeden reuigen Sünder freut.
Dies ist für uns auch ein wichtiger Hinweis darauf, dass wir uns über die Freude anderer zu freuen wissen, damit das Wohlergehen, die Freude, der Erfolg und das Glück anderer uns nicht im Herzen verletzen, unser Leben nicht mit einem gewissen Neid erfüllen, sondern damit wir uns aufrichtig für sie zu freuen wissen. Diese Lektionen der Freude werden uns vom Herrn offenbart. Der Heilige Johannes Chrysostomos sagt dazu auch, dass die wahre Freude an Gott eine große Waffe jedes Menschen ist, mit der keine Traurigkeit, keine Schwermut in unserem Leben auf uns zukommen kann.
Wenn wir allerdings von dieser Freude sprechen, kommt sie in unser Leben natürlich auf eine ganz andere Weise. Die übliche irdische Freude, auf welche wir warten, schließt die Arbeit aus, schließt das Leiden aus, schließt die Großtat aus. Im Gegenteil versucht sie, dem Ganzen zu entkommen. Die echte geistige Freude ist jedoch direkt mit dem Kreuz verbunden. Heiliger Theophan der Klausner schreibt, dass der Sinn des Lebens eines jeden Menschen ist, zu dieser geistigen Freude zu kommen. Man kann zu dieser Freude nur durch das Tragen des Kreuzes kommen. Dabei schreibt er, dass das Kreuz das Mittel und die Freude das Ziel ist. Dies sind die erstaunlichen Worte des heiligen Theophanes des Klausners.
Wir verstehen, dass die Freude, welche der Herr verspricht und über welche er spricht, in keinem Vergleich zu der Freude steht, welche wir gelegentlich, in manchen Momenten unseres Lebens empfinden. Und in unserem gewöhnlichen Leben sind freudige Momente ein seltener Vogel, der in unseren Alltag fliegt. Die Freude, welche der Herr uns verspricht und deren Teilnehmer wir in einigen, wenn auch in seltenen Momenten, hier auf der Erde sind, ist eine unendliche Freude. Deswegen ist es wichtig, dass wir verstehen, warum der Herr uns dazu aufruft, unser Kreuz nicht abzulegen, es nicht zu verlassen, uns nicht von ihm abzuwenden, ihm nicht auszuweichen, sondern ruhig, demütig und mit Freude das anzunehmen, was er uns schickt. Denn es ist der Weg zur Freude, welche sich jede Seele wünscht und für welche wir alle bestimmt sind. Zu diesem Zweck sind wir von Gott erschaffen worden, zur Freude, um in Gott zu leben, uns zu freuen und an dieser göttlichen Freude teilzuhaben. Natürlich verstehen wir, dass dies sehr schwierig ist, weil wir viele andere
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Beispiele haben. Wir sind besorgt, wir sind belastet mit den Gewohnheiten jeglicher flüchtigen Eindrücke. Wir wissen, wie leicht man sich an einige Fernsehserien gewöhnen kann, die uns ablenken. Jede Freude dieser Welt lenkt uns für eine Weile ab. Sie erlaubt uns, uns selbst zu vergessen. Sogar wir selbst wissen innerlich, wenn wir sie erleben, dass sie sehr schnell endet und durch eine herzliche Sehnsucht ersetzt wird, denn niemals kann diese Freude eine menschliche Seele erfüllen. Gott gebe, dass jeder von uns nach der wahren Freude strebt. Wir gehen nicht nur mit zusammengebissenen Zähnen, sondern verstehen, dass Gott es von uns will. Der Herr will, dass wir uns freuen, aber mit wahrer Freude, mit echter Freude, mit jener Freude des Menschen in Christus, zu der jeder Mensch berufen ist.
Gottes Segen für uns alle, liebe Brüder und Schwestern. Ich wünsche uns allen, dass wir diese Freude in unseren Häusern, in unseren Herzen erleben, dass das Gebet uns Freude bringt, dass unsere Füße mit Freude in das Haus Gottes hineinlaufen, dass wir verstehen, wozu wir berufen sind und was wir sehr oft ablehnen, wovon wir oft abweichen.