Lebensbeschreibung von Ambrosius Backhaus
13.09.2005 | Thema: Ambrosius Backhaus |
Dr. med. Arnold/Ambrosius Backhaus
geb. 23.August 1923 gestorben am 3.April 2005
Ich möchte Ihnen zunächst eine ganz einfache Geschichte erzählen. Ich war ja, wie Sie wissen, Priester der russisch orthodoxen Kirche seit 1950 und Arzt seit 1952 und war viele Jahrzehnte Hafenarzt – und da war ein Hafenarbeiter, und der sollte getauft werden. Der wollte eine Griechin heiraten, und die konnte er nur heiraten, wenn er getauft war. Und dann haben sie ihn zu mir geschickt, wir hatten da so Nachtdienst, das war ein schönes kleines, winziges Zimmerchen über der Elbe, man sah die Schiffe vorbei fahren, und da haben wir uns dann unterhalten. Und ich habe ihm von der Kirche und von der Taufe erzählt, und wir waren beide müde natürlich, und er hat mir immer freundlich zugeschaut und hat gesagt: Herr Doktor, sie geben sich so viel Mühe – aber so richtig wurde das nichts. Aber da habe ich gesagt: „Aber der Herr Jesus Christus“ – „Ja!“ sagt er „den kenne ich – wissen Sie Herr Doktor, jeden Morgen, wenn ich aus meinem Bett aufstehe, dann knie ich mich nieder, rede mit meinem Herrn Jesus Christus, und dann ist der Tag gelaufen.“
Ja, so irrt man sich manchmal, der wußte natürlich weder, dass der Herr Jesus Christus Gottes Sohn ist, der wußte auch nichts von der Heiligen Dreifaltigkeit, als Kirche hatte er nur den Hamburger Michel gesehen, aber den Herrn Jesus Christus kannte er. Und mein jüngerer Bruder, der immer so ganz kritisch war, dann hat er zu mir gesagt: „Warum hast Du den denn noch getauft – der war doch schon getauft.“ – Nein, er war natürlich nicht getauft, der wurde dann auch getauft. Aber es ist eben ganz erstaunlich, und so habe ich immer wieder erlebt, was wir gerade in dem Evangelium gehört haben, dass es da Leute gibt, die sagen: Nein, Herr, mit Dir habe ich nichts zu tun, und dann gehen sie doch hin – so wie dieser Hamburger Hafenarbeiter, der besser Platt- als Hochdeutsch sprach.
Ja, geboren bin ich in Bayern, am Starnberger See, in einem ganz kleinen Ort, Söcking, und das war 1923. Das war ja eine auch sehr seltsame Zeit. Man muss sich vorstellen, kurz nach dem ersten Weltkrieg, nach der Inflation, langsam ordnete sich wieder die Welt, da an den großen Villen am Starnberger See wohnten bedeutende Leute, zum Beispiel Elly Ney, und die Kinder sollten nicht in so eine primitive Schule gehen, die kamen dann zu meinem Vater, der war Volksschullehrer. Eine kleine Privatschule in einem kleinen Haus, oben auf dem Berg.
Und damals habe ich von der Kirche eben auch nichts gesehen, wie der Hafenarbeiter – ich bin getauft worden, mit dem Wasser des Starnberger Sees in einer kleinen Dorfkirche, aber bei uns wurde immer jeden Morgen gesungen, so wie Sie das auch getan haben, meine Mutter setzte sich ans Klavier und dann sangen wir zusammen, damals war ich ja noch ganz klein, und wuchs so langsam heran. Und dann wurde erzählt, und meine Mutter hat sehr viel vorgelesen. Ich habe bis zum Abitur praktisch eigentlich die ganze Literatur durch das Vorlesen meiner Mutter kennen gelernt, erst Märchen, dann Sagen, dann auch unserem Alter angemessen, wir waren fünf Kinder, dann wurde zum Beispiel Kolbenheyer Paracelsus gelesen, ich weiß nicht, ob Sie das noch erinnern – und Dramen las meine Mutter vor, sie war auch Schauspielerin und hat in München da am Theater gespielt, sie hat dann auch mit ihrem damaligen früheren Mann diese alten Spiele – Oberuferer Paradeisspiel, die hat sie also wieder zum Leben gerufen, die haben sie aus den Akten herausgefunden, und dann zog meine Mutter mit einer kleinen Gruppe junger Leute, zog sie praktisch durch die ganze Welt, in die Tschechei, nach Polen, nach Juist, und dort spielten sie dann das Oberuferer Paradeisspiel und eine Reihe anderer dieser alten Spiele, und wir Kinder wurden dann auch daran beteiligt, wir mussten dann auch mal mitspielen, und etwas mitmachen, einen Engel darstellen, oder irgend so etwas schönes. Und ja, eben, so habe ich eben viel in mich aufgenommen, ohne dass mit der Kirche irgendwie in Beziehung zu bringen.
Dann war das damals die Zeit, wie Hitler auf die Feldherrnhalle zumarschierte, und wie Rudolf Steiner seinen kleinen Kreis bildete, meine Mutter war fünfzehn Jahr lang eine der Allernächsten von Rudolf Steiner. Nur eine Geschichte erzählen, die hat sie so beeindruckt, die habe ich nicht selbst erlebt – der Rudolf Steiner hat einen Vortrag gehalten von drei Stunden, und hat immer das Wort Christus weggelassen. Hat eine Pause gemacht – nicht, jetzt sprechen wir über den Herrn, und der hat uns erlöst, und dieser Herr ist geboren in Bethlehem – und so weiter – und meine Mutter hat das also sehr bewundert – das ist ja auch sehr seltsam, nicht, ist Ihnen vielleicht auch so gegangen, in dem Augenblick klingt plötzlich in Ihnen der Name Jesu Christi, obwohl der nicht ausgesprochen wird. Das ist ja mit unseren Aspekten oder Blickrichtungen – ich habe gerade einen kleinen 12 Minuten Film gemacht, die Menschen mit Gottes Augen sehen – auch gerade für Jugendliche – besteht aus nichts anderem, als zuerst aus schöner Landschaft, ich erinnere an die Schöpfung Gottes, und dann sieht man Menschen, ich war da gerade in Würzburg vor der Residenz, und ganz seltsam, wenn man dann davon spricht und Gott hat uns alle geschaffen, und ER sieht uns liebend an. Dann geht es einem beinah so wie mit dem Namen Jesu Christi – gerade junge Leute sehen dann diesen Film mit großer Begeisterung und sagen, ja, die sind alle nach Gottes Bilde geschaffen, da kommen erst ein paar kleine Kinder vor, und dann ist da in der Mitte dieser Brunnen mit Riemenschneider, und mit anderen Künstlern, und der eine hat eine Statue in der Hand, und da habe ich gesagt, wie eben der Künstler aus dem Material, was er hat, einen Menschen schafft, der dann schön ist, einen schönen Menschen schafft, so schafft Gott eben aus dem Material dieser Welt, aus der Erde, aus der ganzen irdischen Wirklichkeit, den Menschen nach Seinem Bilde.
Mit Rudolf Steiner war das dann – (für meine Mutter) – auf die Dauer nichts, für mich also auch nicht, weil mir das alles zu rational und zu klug war.
Das ist eine meiner ersten Erlebnisse eigentlich mit der heiligen Schrift, es wurde immer die heilige Schrift bei uns gelesen, das war das Buch für mich, damals war ich vielleicht sieben, acht Jahre, aber das kann ich heute ganz genau so sagen, das Buch ist, was mir die Wahrheit sagt – oder kein großartiges Wort – die Wahrheit ist eine Person: Jesu Christi, die ist nicht in Worte zu fassen, aber die Wirklichkeit darstellt. Die Jünger nehmen das Abendmahl und streiten sich – so habe ich die Welt erlebt, und so erlebe ich sie eben auch heute noch – das war für mich unmittelbare, unbezweifelbare – ich habe gar nicht angefangen, zu zweifeln – unbezweifelbare Wirklichkeit – und dieses Wort Gottes ist ja ganz erstaunlich. Wenn Sie heute an das Evangelium denken, der Herr Jesus Christus redet doch in einer ganz seltsamen Weise und ich finde diese Weise, wie ER redet in dieser einfachen Übersetzung von Luther, die ist, für mich, wenn ich das so sage – viel besser als alles, was dann an wissenschaftlichen Apparaten und Kommentaren dazu gegeben wird. Dieses Wort berühret mich. Wie redet der Herr die Menschen dort an, Er erzählt ihnen eine Geschichte, und dann redet er von den Huren und Zöllnern, Er ist in diese Welt gekommen, um die Kranken als Arzt gesund zu machen – nicht die Gerechten – mich hat das immer von Anfang an so berühret, dann muss es doch Gerechte geben – wir sind doch alle Sünder, aber wenn der Herr sagt, ich gehe dann lieber zu den Huren und Zöllnern und rede mit denen, weil die wirklich mein Wort brauchen, ihr seid ja schon ganz in Ordnung – nein, so sagt Er das zwar nicht, aber das klingt irgendwie mit – der Herr geht mit uns in einer sehr seltsamen Weise um, und mit mir auch.
Naja, dann kam ich, mein Vater wieder in einen richtigen Schuldienst in einer kleinen Dorfschule in Krusemark in der Nähe von der Elbe, dann später in Thielbeer, und da habe ich eben die Kirche deshalb erlebt, weil ich was zu tun hatte, ich musste nämlich die Bälge treten auf der Orgel, an der mein Vater spielte. Und Sie können sich mal vorstellen, versuchen Sie sich mal vorzustellen – damals war ich vielleicht acht oder neun – der geht in die Kirche, aber nicht da rein, wo die ganzen Leute reingehen, und wo man den Pastor erst mal mit tiefer Verbeugung begrüßt, sondern der geht die Treppe hinauf, und dann wird vorne die Kirche Gottesdienst gefeiert – aber er ist ja hinter der Orgel und tritt die Bälge und hört dann, wann der Vater wieder frische Luft braucht, damit er Orgel spielen kann. Das heißt also, ich habe überhaupt keine Verkündigung in der Kirche gehört – ich mache niemand einen Vorwurf dafür, das war eben einfach so selbstverständlich gegeben.
Naja, 1936 kamen wir dann nach Hamburg, weil ich auf die Oberschule sollte, die Walddörferschule, eine ganz originelle Schule damals schon, in Volksdorf in den Walddörfern, mein Vater war dann in Ahrensburg dort Lehrer, und da war das Erstaunliche, dass unsere Lehrer uns in einer ganz seltsamen Weise das Evangelium beigebracht hatten – das war ja verboten, es gab keinen Religionsunterricht – es gab politischen Unterricht, und man musste lernen, dass man Arier war und ähnliche Dinge, wenn man Glück hatte, war man eben Arier, und – aber unser Lehrer, der brachte uns dann eines Tages einen langen Zettel mit, und da hatte er lauter Stellen aus der Bibel, aus dem Neuen Testament aufgeschrieben, und hat gesagt, Ihr habt doch alle eine Bibel zu Hause, nun lest das mal durch, und dann wollen wir mal darüber sprechen – im Rahmen sozusagen des Literaturstudiums; und dann saßen wir zu Hause und haben, so wie er das gesagt hatte, gelesen – ich kann mich überhaupt an keine Begegnung mit Gott oder Christus in diesen ganzen ausgewählten Texten erinnern, ich kann mich nur an die Tatsache erinnern, die uns Jungs, wir wußten ja, wie gefährlich das war, das wir den Lehrer einfach bewundert haben, dass er diesen Mut hatte, uns in dieser Zeit das Evangelium zu verkünden im Rahmen der Siegfried Sage und des Hildebrandliedes und Goethe und ähnliche Dinge und eben auch die Heilige Schrift.
Auch wieder sehr seltsam, ich habe eigentlich die Heilige Schrift erlebt als ein herrliches Buch, ich kann mich an diese Stellen, die er damals rausgeschrieben hatte, überhaupt nicht erinnern.
Ja, und waren ja die Gebote Gottes für mich immer die Gebrauchsanweisung zum Leben – ich weiß nicht, wer mir das gesagt hat, das gibt es sowohl in der evangelischen, katholischen, orthodoxen Theologie solche Aussagen, aber mir war das eigentlich selbstverständlich. Gott, der die Welt geschaffen hat, hat uns freundlicherweise die Gebrauchsanweisung dieser Welt in seinen Geboten mitgeteilt. Und das ist ja deshalb auch so wichtig, weil jeder junge Mensch erlebt, das er belogen wird: wenn du die Gebote Gottes übertrittst, dann geht es dir schlecht! – Überhaupt nicht der Fall, jedes vernünftige Kind übertritt kräftig ein Gebot, und dann wartet es, wann es einem schlecht geht, und es geht ihm überhaupt nicht schlecht, – ja, weil Gott uns liebt. Gott ist kein strafender und grausamer Gott, der uns mit der Peitsche erzieht.
Aber, wenn wir anfangen, nach den Geboten zu leben, nur mal versuchen – man kann es mal so bisschen versuchen: du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten – dann merkt man plötzlich, wie schön die Welt ist. Die Gebote Gottes waren für mich eigentlich immer der Weg, eben die Leuchte auf dem Weg, auf dem ich gehe – ein Weg, den man gehen kann, die dann noch gewissermassen herrlicher wurden, in den Seligpreisungen und dem Leben Jesu Christi, aber doch auch in diesen Geboten. Und wenn man versuchte, sie ein ganz bisschen in aller Demut und aller Unvollkommenheit mal zu erfüllen, dann merkte man: Der Herr hat recht. Eine herrliche Welt – wenn man sie befolgt – aber das ist ja schwierig.
Naja, dann hatte ich ja nicht so furchtbar viel Zeit, ich habe 1942 Abitur gemacht, auch eine Geschichte, die ich sehr behalten habe. Dann sagte unser Studiendirektor: „Jetzt entlasse ich Euch in die Freiheit“. Was heißt Freiheit, ich hatte ja schon den Einberufungsbefehl in der Tasche.
Und ich war fest entschlossen, keine Gewalt anzuwenden – so ist man eben als junger Mensch manchmal, so begeistert von einer solchen Sache – aber das war ja völlig undenkbar. Dann hatten wir auch Ärger, meine Mutter und ich mit der Gestapo. Ich weiß nicht, ob sie sich an Mölders erinnern? Mölders war ein ganz berühmter Jagdflieger, mit vielen Abschüssen, sehr berühmter Mann, und dieser Mölders war gleichzeitig der Leiter sozusagen der katholischen Jugendbewegung. Das war den Regierenden sehr unangenehm. Wahrscheinlich ist er bei einem Flug mit einer Ju52 abgestürzt, und alle glaubten, er ist umgebracht, weil es unerträglich war, dass ein gläubiger Christ als ganz erfolgreicher Flieger in der Armee des großen Führers Adolf Hitler seinen Dienst tat, und das Evangelium verkündete, und da gab es einen Möldersbrief, und er schrieb an seine Freunde, als der Krieg anfing. Da war das große Geschrei und die große Begeisterung der Ungläubigen, die Gott verspotteten, aber als dann die ersten Toten da waren, und die ersten Verwundeten, und es wirklich Ernst wurde, da erwies sich, dass die Christen die wahren Helden sind. Den haben wir abgeschrieben mit der Hand, meine Mutter und ich, und verteilt – das ging natürlich nicht gut – wir wurden infolgedessen bei der Gestapo verhört, und das Ergebnis für mich, ich stand ja damals kurz vorm Abitur, das Ergebnis war für mich ein sehr witziges – in meinem Soldbuch stand drin: nur an der russischen Front zu verwenden.
Auch eine ganz faire, das ist immer das Schreckliche mit diesen diktatorischen Systemen, die haben auch irgendwo etwas ganz Menschliches, nicht, die haben gesagt: dieser blöde Kerl, umbringen wollen wir ihn nicht, intelligent ist er auch, gutes Abitur hat er gemacht, vielleicht kann er uns noch nützlich sein, aber – und so kam ich dann erst nach Schleswig zur Ausbildung und dann an die russische Front. Und ich hatte Glück, gerade mit meinem Vorsatz, niemand zu töten, hatte ich wirklich Glück. Wenn sie da oben, wie die armen Kanadier, die Dresden zerstört im Dunkeln in ihren Flugzeugen sitzen, und nur diese Markierungen sehen, und auf den Knopf drücken, die sehen doch überhaupt niemand. Oder wenn sie an den großen Geschützen stehen, die schießen über 30 km, da sehen sie gar nicht, was passiert – aber wenn sie an der Front sind, sehen sie natürlich immer ihren Gegner Auge in Auge. Dafür bekam man dann auch eine Nahkampfspange – habe ich dann immer wieder erlebt, erstaunlicherweise. 24.12.1943 waren die Russen eingebrochen bei uns, war tiefer Schnee, und wir sollten den Einbruch wieder freikämpfen. Ja, und dann schoß die 8,8, das war die große Flak, die schoss dann Sicherheitsfeuer, erst zu kurz, und ich war einer der wenigen Überlebenden der Kompanie, alles andere waren junge Leute, die hatten überhaupt keine Ahnung. Und dann kamen wir in den Graben, und dann komme ich auf einen Russen zu, der steht mir gegenüber, und dann schaue ich ihn an, und rede ihn an – mit meinem ganz schlechten Russisch, war nicht doll, und dann haben wir uns vertragen, dann war der Krieg für uns zu Ende, dann kriegte ich den ersten Punkt für die Nahkampfspange. Dann später noch einmal in einem Nachtgefecht in lauter kleinen Birken, stehe ich plötzlich auch vor einem Russen mit einer Maschinenpistole, schaue ihn an und sage: Towaritsch – der Krieg ist zu Ende – habe ich ihn gefangen genommen – zweiter Punkt – aber das ging doch nur, ich sage das nur, weil ich niemand schlecht machen will, der diese Möglichkeit nicht hatte – das geht nur, was ja immer heute in den modernen Kriegen und Kämpfen immer weniger wird, wann sehen sie denn noch ihren Gegner Auge und Auge und können mit ihm reden, und können den Frieden auch dort verkünden, wo Krieg ist.
Das ging also gut, und ich war überzeugt, dass der Herr Jesus Christus der ist, auf den man sich absolut verlassen kann. Dann kam ich in Gefangenschaft, will ich nicht viel erzählen, bin ich von der NKWD verhört worden, ein halbes Jahr, aber das war ganz witzig, die merkten offenbar, dass ich deutsch konnte, dass ich russisch konnte, italienisch und englisch, infolgedessen haben die mir nicht geglaubt, dass ich Obergefreiter war, und dachten, ich sei sicher irgend so ein geheimer hoher Offizier, der ihnen was Wichtiges sagen konnte – und dann bestanden die Verhöre darin, dass ich Nachts aus dem Bett geholt wurde, und dann kam man in einen kleinen Raum, da gab es zwar elektrisches Licht, das war aber aus, da stand so eine kleine Kerze, und dann musste ich meine Lebensgeschichte erzählen, immer wieder. Und das ist schon erstaunlich, wenn sie da also zwei russischen höheren NKWD Leuten gegenübersitzen – nun erzählen Sie mal – der sprach gut Deutsch – nun erzählen Sie, und dann wird, wie Sie das hier auch erleben, Ihr Leben eben ja, es wird auch verfremdet, wenn Sie das mehrmals erzählen, und das immer wieder bringen, da gibt es gewisse Dinge, die haben schon ihre Gestalt bekommen, auch wenn Sie nachher einsehen, dass es eigentlich gar nicht so stimmen kann. Und der große Unterschied zwischen NKWD und Gestapo war der, die Gestapo war eben hart und grausam, und wenn die Verhöre fertig waren, dann wurden Sie abgeführt. Und bei den Russen war das ganz witzig, dann war die Nacht da, und ich habe meine Lebensgeschichte erzählt, und dann ging die Sonne langsam auf, und dann sagten die Russen: nun ist fertig, rauchen wir mal eine. Die hatten, das war immer noch, das war schrecklich, das war in der Taiga, fast am Polarkreis ganz im Norden Rußlands – die hatten dann immer noch einen Rest von, ja, Kameradschaftlichkeit, auch diesem Deutschen gegenüber. Da habe ich überall, ich könnte noch viele Geschichten erzählen, immer wieder erlebt, wie in den – das ist eben das Problem, – wie in der Katastrophe, in der Gefangenschaft, im Krieg, ich habe auch später noch Überschwemmungen in Hamburg und ähnliches erlebt, wie in der Katastrophe – da braucht man keine Kirche, und da braucht man gar nichts, da braucht man einfach nur den Glauben an Jesus Christus, und das Gebet und das Gespräch mit dem Herrn.
Aber wenn keine Katastrophe ist – sehr seltsam, dass also schon der gelbe Kaiser, der etwas mythologische chinesische Kaiser eben gesagt hat, als man ihn gefragt hat, warum lieben die Menschen den Krieg so, da hat er gesagt: weil sie wissen, was sie tun müssen, da ist alles klar und eindeutig – und da ist man – ja, eben: wohlauf Kameraden aufs Pferd aufs Pferd, im Felde das ist der Mann noch was wert, da wird das Herz noch gewogen.
Und dann kam ich zufällig relativ früh nach Hause, weil ich mit „B“ anfange. Die hatten einen Zug geschickt zum Rücktransport von Gefangenen nach Deutschland, das waren vor allem Juden, die auch mitgefangen genommen waren, die wurden also zuerst, und dann wurden noch einige, und dann waren zwei Waggons zu viel, und was sollte der arme Kommandant machen, der hatte nach dem Alphabet diese beiden Waggons noch gefüllt, er konnte den Zug ja nicht leer zurückschicken – und so bin ich schon im 9.November 1945, mein neuer Geburtstag, nach Hause gekommen mit der Überzeugung, dass man mit Christus leben kann, das einfach das Gebet, Gemeinschaft mit Christus alles regelt – das man sich ganz darauf verlassen kann, man kann dabei sterben – das ist für einen jungen Menschen nicht so schlimm – das hört sich sehr seltsam an, ein junger Mensch ist letzten Endes, das sehen sie ja beim Autofahren, der hat keine Angst vorm Tode, der geht gern mal ein Lebensrisiko ein – älter wird das schwierig, im Altersheim wollen die Leute immer nicht mehr sterben.
Infolgedessen – und dann ging alles schief – mein schöner klarer einfacher Glaube an Jesus Christus führte überall zu Mißverständnissen und zu Ärger und ich habe Leuten weh getan, was ich gar nicht wollte, ich habe einfach so, wie ich das im Kriege und in Gefangenschaft gelebt hatte, das ging alles nicht.
Und dann habe ich angefangen, nachzudenken, ich bin eben ein neugieriger Mensch, und bei diesem Nachdenken war eigentlich das erste Ergebnis mein ganz großer Zweifel an dem Absolutheitsanspruch des Christentums. Ich war in russicher Gefangenschaft mit vielen Mongolen zusammen, habe viele Menschen einfach erlebt, nicht so sehr Religionen, ich habe die orthodoxe Kirche in Rußland nie gesehen, und auch die Mongolen natürlich, aber hatte ich eben diese Erfahrung oder diese Begegnung mit Menschen, die von Christus nichts wußten, und die auch aus ganz anderen Kulturkreisen kamen, und die eben auch Menschen waren. Und dann habe ich angefangen zu studieren, habe Philosophie studiert, nicht zu Ende, und habe mich dann eben, Upanisad, Iging, Kungfutse, Montse – habe so ein bißchen Chinesisch gelernt, weil ich dachte, das muß doch eigentlich etwas viel Großartigeres sein, tibetanisches Totenbuch, das sind ja ungeheure Welten, die sich da einem auftun, auch von einer Einfachheit und Klarheit, das ist ganz erstaunlich; und auch eben von so schönen Geschichten. Ein moderner junger Chinese, 2000 vor Christi, geht da den Weg entlang und da ist ein Gatter, und da sieht er einen alten Mann, der züchtet Rosen, und da sieht er, wie der alte Mann in den Brunnen hinabsteigt, mit dem Eimer, und wieder mit dem Eimer in der einen Hand hinaufsteigt. Da sagt er: „Opa komm mal her, bist ja nicht mehr zu retten, mußt ein Rad machen und einen Strick, dann läßt Du das runter, und dann rauchst du ganz friedlich dein Pfeifchen dabei, und dann läßt du es runter, und dann ziehst Du es wieder hoch, und dann gießt Du“ – „Nein,“ sagt der Alte, „wenn ich meine Rose mit einer Maschine begieße, dann riechen sie nicht mehr so gut.“ usw. Sie kennen ja auch alle solche chinesischen Geschichten.
Es war ein langer Weg, eine lange Überlegung. Warum das so lange gedauert hat, weiß ich nicht, der Herr wollte das wahrscheinlich. Die Antwort ist ganz einfach: in keiner (anderen) Religion und keiner Philosophie der Welt kennt Gott mich beim Vornamen, ob Er meinen Familiennamen kennt, weiß ich nicht, aber Er kennt mich bei meinem Vornamen, denn auf den bin ich getauft, da hat Er mich angeredet. Mit diesem Namen wird Er mich anreden, wenn ich vor Ihm im Jüngsten Gericht stehe. Das fand ich einfach hinreißend. Ich bin nicht der erste, der das hinreißend fand, der erste, den ich in der Literatur kenne, ist Pascal, in dem Argument der Wette schreibt er davon: „Und wenn diese Aussage des Christentums auch so unwahrscheinlich wie möglich wäre, eins zu zwei Millionen – ich würde darauf wetten, darauf gründe ich mein Leben.“ – Ja, damit bin ich dann eigentlich zum ersten Mal bewußt Christ geworden. Ich habe viele Vorträge gehalten über Glauben und Verstand – ich will mich jetzt nicht wiederholen, aber das ist ja eben immer wieder immer ein Problem, diese Arbeiter von dem ich zu Anfang erzählt habe, der seinen Verstand dazu nicht gebraucht – der kannte den Namen Christi und damit war die Sache für ihn in Ordnung. Der Tag ist gelaufen, aber es gibt eben andere Menschen, wie Sie und wie ich, die müssen, dürfen – wollen mal so sagen – die dürfen denken. Und so habe ich dann eben gedacht.
Ja, und dann gab es die Kirche – die Kirche war für mich etwas nicht so recht zu verknusen, wie der Hamburger sagt, da waren so viele Dinge, die mir nicht paßten, aber dann habe ich einfach begriffen, dass wir ja Menschen sind, eben Gerechte und Sünder, und dass in der Kirche die Gerechten, die gerechten Sünder zusammengerufen werden und gerade in ihrer Kläglichkeit eine Gemeinschaft bilden, eine heilige Gemeinschaft. Das war für mich zunächst mal einfach Theorie. Habe ich dann theoretisch begriffen – ich war ja damals schon Arzt und war Hafenarzt und dazu gehört doch auch sehr vieles, vom Trinkwasser auf den Schiffen, Lärm, Vibration, Alkohol, Geschlechtskrankheiten, Einsamkeit und was es da so alles gibt. Sehr seltsam, nicht, die Seeleute soffen, weil sie in der Vorpeaks mit 10 Leuten zusammen in einem winzigen stickigen Raum lebten, und wenn sie mal nach draußen kamen, dann pfiff ihnen der kalte Wind um die Nase, und dann wurde die Schiffe immer besser, und dann hatte auch der Moses schon ein Appartement mit Naßzelle, schalldicht natürlich, fast vibrationsdicht, auf den großen modernen, ich denke zum Beispiel an die Hamburg Süd-Schiffe, an die Kapschiffe, und was passierte – die sassen da alleine in ihrer Luxuskammer – früher haben wir zusammen draußen auf dem Deck gesessen, einer hat Schifferklavier gespielt, wir haben unser Bierchen getrunken, der Wind pfiff uns um die Nase, wir waren zusammen, wir waren ne Gemeinschaft, jetzt war die Gemeinschaft kaputt, jeder saß, schon die Tür zu wegen der Klimaanlage, alleine – hatte seinen Rekorder und Musik gehört oder so etwas, einsam, da ging das Saufen wieder los.
Und dann hat ja die Hamburg Süd zu Anfang Schiffe gebaut, bei denen die Gänge so angelegt waren, dass die Leute sich treffen mussten, das ist ja fast unheimlich. Auf großen Schiffen sind zum Teil noch zwei Leute auf der Brücke, aber auf kleinen Schiffen ist nur einer auf der Brücke, er muß alle zehn oder zwanzig Minuten auf einen Knopf drücken, damit er zeigt, dass er noch aufmerksam ist, sonst gibt es Alarm für das ganze Schiff. Und so fährt der alleine, und macht seine Wache, dann kommt der andere gerade aus dem Bett heraus, sagt „Hallo“ – „Hallo“ sagt der andere, und geht weg. Was ich da so an Einsamkeit auf den Schiffen erlebt habe, und das war auch wieder, nicht. Für mich ist immer Naturwissenschaft, Arzt und Priester wirklich eins – das ist eben die Kirche, die uns zur Gemeinschaft ruft, das ist ja immer das Seltsame bei den Russen, habe ich das von Anfang an gehört – wenn man zusammen ist, dann heißt es zum Schluß: Spasiva, … „Vielen Dank für die Gemeinschaft!“ das habe ich zu Anfang nicht so richtig begriffen, aber nun ist es mir so richtig klar geworden. Wir sind ein zoon politicon – ein Gemeinschaftswesen, wir sind aufeinander angewiesen, auch wenn wir als Einsiedler einsam in der … Wüste leben, irgendwo gehören wir zusammen.
Und dann hat mich in der Kirche nicht mehr die ganze Bürokratie und die ganze Ordnung und die Sitzordnung und so weiter gestört, dann habe ich es eigentlich begriffen – und dann war für mich die Frage – es gibt verschiedene Kirchen – ich bin evangelisch getauft, aber sie können sich nach meiner Geschichte vorstellen, dass ich nicht konfirmiert bin, das war alles nicht nach meiner Mütze.
Ja, was nun, welche Kirche? Das ist 1948, 1949 gewesen, da gab es doch für mich nur die evangelische und die katholische Kirche – muß ich beinah fragen, wie dumm man eigentlich sein kann, allein die anglikanischen Kirche ist überhaupt nicht in mein Bewußtsein gekommen, und die Freikirchen waren damals Sekten, die hat man nicht so ernst genommen, und ich habe mich dem angepaßt, und dann habe ich mich mit der Kirche, dann habe ich evangelische Theologie ein bisschen studiert – was mich sehr beeindruckt hat, war der Kommentar zum Römerbrief, der noch vor 1521 geschrieben worden ist – Karl Barth war für mich eben auch irgend jemand. Dann habe ich Schütz noch erlebt. Schütz war der Pastor von St.Nikolai in Hamburg – und katholische Theologie, da kann ich eigentlich nur sagen: Romano Guardini vor allen Dingen, Odo Casel und dann: Thomas von Aquin – das hat meinen Verstand sehr begeistert – diese summa theologica, ein ganz großartiges Buch. Ich sage heute immer noch dasselbe, was ich damals empfunden habe, obwohl das wissenschaftlich vielleicht nicht richtig ist – der Thomas schreibt: „Der hat gesagt“, – und dann zitiert er die Kirchenväter und die Araber und alle, über das Problem, und dann kommt die Summa, und da sagt er dann: „Dann sage ich“. Und ich habe das damals schon empfunden, empfinde das heute noch, da ist kein logischer Zusammenhang – Thomas betrachtet, was die Weisheit der Menschheit gesagt hat, und anstatt daraus ein Integral zu machen, das sozusagen zusammenzufassen, bekennt er seinen Glauben. Großartige Geschichte, aber nicht so richtig wissenschaftlich. Aber dieses grundsätzliche Buch hat mein Denken und mein Leben mit den Glaubensgütern, mit dem Glaubensinhalt eben doch sehr geprägt, aber ich habe wirklich gesehen und auch das, was mir dann mein Bischof immer wieder gesagt hat: Predige nie über etwas, was du nicht glaubst.
Damals war ich gerade ein Jahr Priester – da war ich noch ein bisschen beleidigt – heute bin ich nicht mehr beleidigt, ich glaube immer noch nicht alles; aber das, was ich glaube, das glaube ich.
Das hat Gott mir auch geschenkt, das habe ich in meinem Herzen, darüber kann ich auch reden, und dann kommt es auch an, und so macht Thomas (von Aquin)das auch – er beweist, ich tue das ja auch gerne, um zu zeigen, wie klug ich bin, das ist ja sehr schön – er beweist, was er alles gelesen hat, und …. , und dann bekennt er also seinen großartigen Glauben.
Ja, und dann habe ich noch gedacht, es gibt ja noch die orthodoxe Kirche, damals gab es ja kaum Literatur auf Deutsch, da gab es die Malzew Übersetzungen, von der Jahrhundertwende her, dann gab es von Ehrenberg zwei Bücher über die Religionsphilosophie, die Philosophie der Russen, und dann gab es später das Buch vom Metropoliten Serafim in Berlin über die Orthodoxie; und Russisch konnte ich damals mittlerweile schon ganz gut, aber auch nicht so richtig, dass ich alles hätte lesen können. Griechisch konnte ich immer noch ganz mäßig, französisch gab es damals schon sehr viel, und dann habe ich …
Ja, das muß man sehen, das war also 1950, dann bin ich orthodox geworden, und zwar aus ganz klaren Motiven – in der evangelischen Kirche fehlte mir völlig die Welt der Segnung des Wassers, des Hauses, des Tisches, die Welt der Gemeinschaft mit den Entschlafenen. Christus sagt doch eindeutig: „Wer mein Wort hört, der ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen“. – und Er sagt eben auch ganz eindeutig: „Die, die Toten, die hören mein Wort und leben“. Das ist die Auferstehung Jesu Christi. Diese Auferstehung Jesu Christi verwirklicht sich – würde ich heute noch genau so sagen, und das war damals für mich mein wesentliches Motiv: verwirklicht sich letzten Endes darin, dass ich mit den Entschlafenen im Gebet und in der Liebe verbunden bin. Da realisiert sich die Wirklichkeit der Auferstehung Jesu Christi. Man kann sie auch anders realisieren, ich rede jetzt von mir.
Infolgedessen war die evangelische Kirche damals – 1949 – für mich nicht der richtige Ort, sie war nicht meine Braut.
Und die Katholische Kirche war mir zu klug. Es ist immer das Seltsame. Als Arzt, als Naturwissenschaftler, denken die Menschen immer, das man alles logisch denkt – und gerade der Arzt weiß eben sehr genau, dass das nicht funktioniert – natürlich muß ich ordentlich untersuchen, was manche Ärzte nicht so ordentlich machen. Es gibt gewisse Dinge, die gehören einfach dazu: Blutdruckmessen, Blut untersuchen, Urin untersuchen, auch mal den Patienten anschauen, das Herz abhören und ähnliche Dinge machen. Das ist alles schon sehr wichtig, aber das, was daraus hervorgeht, das ist, das ist einmal ganz groß, das ist eine schöpferische Leistung, das kann der Computer nicht, das ist eben das Seltsame. Ich bin auch heute geneigt, ein EKG mir selber anzusehen. Wenn Sie ein EKG schreiben lassen, brauchen Sie gar nichts mehr zu machen. Der Computer, der stellt schon alles fest, wo Fehler sind, druckt er Ihnen alles aus zum EKG: so und so, das ist in Ordnung, da ist ein Fehler und so weiter. Aber ich habe immer, wenn ich mir diese EKG’s angesehen habe, irgend etwas erlebt; oder beim Puls fühlen oder ähnlichen Dingen, so dass mir also völlig klar war, im Grunde genommen, dass all unser Denken die Vorbereitung dazu ist, unsern, ja – zu glauben – und zwar wird das nicht unsicherer, sondern mit dem Glauben wird die Sache ja erst sicher. Da schließt sich alles das, was an meinem Wissen vorhanden ist, das schließt sich dann zur Gewißheit zusammen, das ist ein ganz seltsamer Vorgang.
Und die katholische – damals, war auch damals anders vorm 2. ökumenischen Konzil, muß man sagen – hatte damals, denken Sie an den Delfinger, dieses Buch, in dem die ganzen Konzilsentscheidungen aufgezeichnet sind, hatte ganz klare Dinge, und ich kann noch erinnern, einen Jesuiten, ein guter Freund von mir, und wenn ich den was fragte, ich war so klein, er war so groß. Dann hatte ich immer das Gefühl, er faßt hinter sich, und zieht eine Schublade heraus, und liest mir das vor, was in dieser Schublade aufgeschrieben ist. Das heißt also die Kirche, so mein Erlebnis damals. Die Kirche hatte eine unendliche Fülle richtiger Sätze, und diese richtigen Sätze und richtigen Erkenntnisse, die werden dann auf die Wirklichkeit angewandt, und das funktionierte bei mir nicht mehr. Denn der Mensch ist eben immer wieder anders. Das geht ja bis heute noch so in die Praxis – wir sind ja eigentlich immer noch ganz konsequent keine Leute zu beerdigen, die sich verbrennen lassen. Herr Jesus Christus ist in das Grab gelegt worden, und so auch wir. Aber wenn jetzt der Bulgare in Hamburg stirbt, und gerne in bulgarischer Erde beerdigt wird, dann kosten der Transport immerhin so mit sämtlichen Nebenkosten 15 bis 20 Tausend Euro. Und dann hat mal einer von unseren alten Priestern sehr schön dem Bischof gesagt: „Herr Bischof, wollen Sie das bezahlen.!“ Der sagt: „Nein, wieso?“ – „Naja, der kann das nicht bezahlen, aber dass er in seiner heimatlichen Erde …“ – „Naja, dann laß ihn verbrennen.“
Und so – wie gehen wir mit den Regeln, ich denke immer noch an diese Schubladen – mit diesen Regeln um, und dann habe ich die Orthodoxe Kirche, und dann bin ich in die Orthodoxe Kirche gegangen, weil nach meiner Erfahrung natürlich auch die Praxis eine große Rolle spielt – das war meine Welt und ist sie heute auch noch.
Das ist ja etwas sehr Seltsames, es gibt einen nichtexclusiven Superlativ – das ist Grundlage der Liebe und das Glaubens – wenn ich meine Frau nicht liebe über alles, wenn sie nicht die einzige, schöne Frau, die es überhaupt gibt, ist – dann soll ich sie nicht heiraten – so hat meine Mutter mir schon gesagt. Aber wenn ich das dadurch mache, dass ich sage: „Du bist – wenn ich Dich so ansehe, so schön, und die Haare und die Figur – aber schau doch mal die da an, ist ja unmöglich, und die da, ist ja entsetzlich“ – das ist töricht, das ist wirklich töricht, aber so machen wir das doch, so gehen wir doch damit um – so – ja, eben – so preisen wir unsere Geliebte, indem wir die anderen schlecht machen – nicht exclusiver Superlativ – ohne Superlativ geht es nicht – und genau so ist es im Glauben, und das hat mich auch im Glauben so beeindruckt – und das war seltsamerweise, die Orthodoxen sind ja außerordentlich streng, kann man sagen, andererseits von einer ganz großen selbstverständlichen Offenheit. Nicht das sehen Sie ja immer wieder, dann gibt es große Erklärungen und dicke lange Schreiben: „Wir nehmen an diesen ökumenischen Tagungen nicht mehr teil – weil, weil, weil…“ – brauche ich gar nicht zu sagen – und dann kommen sie auf die nächste Tagung, und wer sitzt in der ersten Reihe? Die orthodoxen Bischöfe. Ja, das ist eigentlich schlimm, nein, das ist unmöglich, wie kann jemand also sich so verhalten? Habe ich auch im Hafen erlebt; war so ne Nebentätigkeit, habe ich ne Arbeit gemacht über Läuse und ähnliche Geschichten mit einer Firma zusammen, und dann bekam ich einen bitterbösen Brief vom obersten Senat: „Sie haben ohne Nebentätigkeitsgenehmigung Nebentätigkeit gemacht. Nehmen Sie dazu Stellung.“ – Und dann habe ich den angerufen und habe dem gesagt: „Wissen Sie, ich habe eine Nebentätigkeitsgenehmigung“ – „Was?“ hat der gesagt, „Sie haben eine?“ – „Ja“, – sage ich, – „ich habe eine, haben Sie nicht nachgesehen? – „Nein, ich dachte, sie hätten keine“ – „Und was nun?“ – „Ach“, – sagt er, – „schmeißen sie den Brief in den Papierkorb.“
Und diesen Umgang habe ich auch, entschuldigen Sie, habe ich auch mit vielen kirchlichen Dokumenten gelernt. Wie viele unsinnige unfreundliche Dokumente sind in der Kirche immer wieder geschrieben worden, auch von den Orthodoxen, von einer Unkenntnis und Überheblichkeit, dass ist geradezu unwahrscheinlich. Viele Russen in Rußland, die kennen keine Katholiken und Evangelische – da gibt es ein paar, die haben sie gar nicht gesehen. Und völlig anders verhalten sich orthodoxe Kirchen in Frankreich, wo sie schon sehr lange sind, und auch in Amerika und auch in Deutschland, wo sie einfach diesen persönlichen Kontakt haben, wo sie sehen, die anderen sind eben doch keine Bestien, sondern scheinen auch Menschen zu sein. Aber wer diese Erfahrung nicht gemacht hat – nicht exclusiver Superlativ. Das ist mir also auch im Glauben so außerordentlich wichtig. Wenn ich meine Kirche nicht von ganzem Herzen liebe, wenn sie nicht einfach – eben – das ist ja auch diese persönliche Entscheidung, das ist ja etwas, was gerade der Papst, ist jetzt ja ein Buch erschienen über die ganzen Äußerungen, die der Papst über die anderen Religionen und anderen Konfessionen, über die Juden und Mohammedaner gemacht hat. Und da schreibt er, der jetzige Papst, finde ich ganz erstaunlicherweise immer wieder, das er ein ehrliches Leben führt seines Glaubens ist viel wichtiger, als dass er katholisch ist. Das ist ganz neu für die Katholiken, für die Orthodoxen eigentlich auch, aber das bedeutet für uns alle einfach eine Wirklichkeit.
Naja, und dann wurde ich orthodox, Priester wollte ich nie werden, wäre nie auf die Idee gekommen, was für eine komische Idee, und eines Tages war ich in der Kirche, ich war dann einer der jungen Leute, und der Bischof Aphanassij, wir haben uns gut vertragen, ich war Ministrant würde man eben sagen – und eines Tages sagt er zu mir: „Willst Du nicht Priester werden?“ – Ich sage: „Weiß ich nicht.“ – Da sagt er: „Aber du bist ganz geeignet.“ – „Also Herr Bischof, wenn Sie das sagen“ – „Aber dann mußt du heiraten – oder nicht – besser nicht!“. Ich war da mit einer Berlinerin zusammen, die auch orthodox war und besser russisch sprach wie ich, ein richtiges Berliner Mädchen, wir waren sehr glücklich zusammen, aber nicht verheiratet – das war 1948, 49 – geheiratet haben wir 1950. Das sehe ich immer bei den jungen Leuten, bei meinen Freunden, wenn man nicht rechtzeitig in der ersten Liebe heiratet, dann ist das ganz schwierig, sich später noch dafür zu entscheiden. Darum ist das eben mit der Enthaltsamkeit gar nicht so dusslig, sondern das ist eine ganz vernünftige Sache. Aber darüber will ich jetzt nicht reden. Aber als ich meiner Frau das gesagt habe, – „Ach ja, ich glaube – wir wollen dann auch heiraten“ – und dann haben wir also geheiratet. Ich bin sehr zufrieden, habe gar nichts dagegen, wir waren fünfzig Jahre verheiratet. Kurz nach der fünfzigjährigen Wiederholung unseres Hochzeitstages ist meine Frau dann gestorben. Also so schön konnte es eigentlich gar nicht sein, aber da habe ich eben auch etwas in der Ehe gelernt, um das vielleicht doch noch mal zu sagen: Ehe hat Geduld und was ich so Vorschußvertrauen nenne – wir haben also wirklich – aber natürlich hat das Schwierigkeiten, nicht, denken Sie. Ich erinnere, meine Frau war ein Morgenmuffel, Sie wissen, was das ist, nicht? Wenn sie morgens aus dem Bett kam, war sie eine Hexe, und wenn sie ihren Kaffee getrunken hatte, ihre Zigarette geraucht hatte, dann war sie eine ganz liebenswerte Frau. Das hätte ich, damals war ich schon Arzt, das hätte ich ja wissen können. Es gibt also Leute, die haben einen sehr stabilen Blutzucker, wie ich also komischerweise. Ich brauche den ganzen Tag nichts zu essen, und es passiert gar nichts, aber bei vielen sinkt dann der Blutzucker ab, und dann werden sie also, unter Umständen, sogar zitterig, aber zunächst mal missmutig, und das reflektieren sie natürlich nicht, sie reagieren nur so. Und nachdem ich das begriffen hatte, hat lange gedauert. Ich habe mich also viele Monate darüber geärgert über dieses Weib, was so nett und so liebevoll ist, und was morgens immer so unerträglich ist. Als ich das dann wirklich begriffen habe – und da bin ich wieder bei einem seltsamen Phänomen. Es dreht sich doch um den Verstand, dass man manche Dinge auch durchdenkt, da fand ich das ganz lustig. Meine Frau aufgestanden und ich geguckt, na, was macht denn die alte Hexe – und dann ihr Kaffee, Zigarette und man sah richtig, wie sie aufblühte und eine schöne Frau wurde. Ich könnte noch viele solche Geschichten erzählen, aber eben, es hängt eben an zwei Dingen – es hängt an dem, was ich Vorschussvertrauen nenne: das ich von Anfang an annehme, dass der andere recht hat, und ich würde sagen, in 99,99999 Prozent trifft das auch zu, nur ich merke das gar nicht, weil ich mich schon habe scheiden lassen, ehe ich das begriffen habe. Und so ist die Ehe für mich eine herrliche Zeit natürlich, aber letzten Endes natürlich auch eine große Schule gewesen. Das Zusammenleben mit einem Menschen ist ein Geschenk, ein unbegreifliches Geschenk, aber auch eine Aufgabe.
Ja, das übertrage ich jetzt wieder auf die Kirche. Ich habe mich eigentlich in der orthodoxen Kirche also wirklich ganz wohl gefühlt. Ja, was habe ich an Theologie gelernt? Gar nicht. Durch das Gebet, wirklich nur – aber in den orthodoxen Gesängen und Gebeten ist wirklich die ganze Theologie vorhanden, wenn ich irgend einen Vortrag halte, dann sehe ich natürlich auch die klugen Bücher nach, aber das brauche ich eigentlich nicht, sondern ich brauche nur die Liturgie und die ist unendlich, das sind immerhin so viele Bände, in denen die ganzen Gottesdienste des Jahres aufgezeichnet sind, – da ist immer wieder – wenn sie an die Verklärung denken – die schöne Tropar, wo es heißt: Und der Herr offenbarte den Jüngern seine Herrlichkeit auf dem Berge Tabor, damit sie, wenn er am Kreuze stürbe, erkennen würden, dass es ein freiwilliges Leiden war. Und so könnte ich dutzende von solchen Dingen, in denen in ganz kurzen Merksätzen beinahe – Troparien, Kondaktien, eben die ganze Weisheit der Theologie zusammengeflossen ist, gebetet wird – und davon habe ich eigentlich erst spät, so seit zehn Jahren, habe ich gelernt auch das evangelische und katholische Gesangbuch, gestern war ich in einer Baptistischen Kirche, das baptistische Gesangbuch darauf hin anzugucken, und da bin ich auch immer wieder ganz erstaunt, was in diesen Kirchenliedern an klarer, deutlicher Theologie drinsteht, an Verkündigung des Glaubens in einer singbaren Form, aber gleichzeitig auch in einer rational ganz präzise durchdachten Form – und eben durch das Beten.
Und dann natürlich durch das Gespräch – ich war damals einer der ganz wenigen orthodoxen Geistlichen, der also gut Deutsch sprach, infolgedessen wurde ich überall eingeladen, und dann sollte ich etwas sagen. Erst hatte ich dann so Muffensausen, wie man sagt, weil ich dann so hochkarätigen Professoren gegenüberstand, dann habe ich sicherlich anschließend beim Wein festgestellt, dass die das auch nur aus der Enzyklopädie Britannica hatten, was die da gesagt hatten, und dann bin ich etwas mutiger geworden. Und damals gab es ja alles noch nicht, Internet und diese Dinge, wo man sich ja wirklich leichter informieren konnte, sondern man musste das schon lesen oder eben – beten.
Und dann habe ich unendlich viel gelernt durch die Beichte – nicht so sehr durch meine eigene Beichte, die ist auch gut – sondern bei uns beichten die Leute vorm Empfang des Abendmahls, und das Seltsame ist ja, dass, als ich Priester wurde, die Leute drei – viermal im Jahr zum Abendmahl gingen, obwohl wir ja bei jedem Gottesdienst das heilige Abendmahl feiern, also jeden Sonntag jedenfalls, und heute kommen sie praktisch alle. Das hat ihnen niemand beigebracht, das ist ja in allen Kirchen so, das eine die Kirchen durchziehende Begeisterung für das Abendmahl, und das bedeutet, dass wir dann also zwanzig, dreißig, vierzig Leute zur Beichte haben. Und dann habe ich eben in der Beichte das gelernt, was sozusagen Moraltheologie ist. Das ist manchmal, manche Leute haben alles aufgeschrieben, ich krieg da schon einen Schreck, wenn ich sehe, sie haben da drei große Zettel mit, die sie dann vorlesen, damit sie nichts vergessen. Ich sage immer, es kommt nicht darauf an. Wenn du zum Arzt gehst, dann ist wichtig, dass du dem Arzt sagst, woran du leidest, da brauchst du nicht sämtliche Einzelheiten deines Lebens aufzuführen, aber es gibt immer noch, auch Orthodoxe, die eben glauben, nur die Sünden werden vergeben, die man bekannt hat – ganz großer Irrtum, Irrlehre, aber weitgehend verbreitet.
Naja, und wenn man dann sieht, woran die Menschen leiden, und dann auch das Seltsame, wenn jemand immer wieder kommt, und immer wieder die selben Geschichten erzählt. Dann denkt man doch mal so als Seelsorger – eigentlich mal: Mein lieber Freund, muß das sein? Eine ganz harmlose Geschichte: „Vater Ambrosius, ich bin wieder bei Rot über die Strasse gegangen“ – und das hören Sie dann nächste Woche wieder, und so weiter und dann sagen Sie irgendwann: „Sag mal, mußt du denn bei Rot über die Strasse gehen?“ – „Ja, mir ist dann so ums Herz, wissen sie, aber das ist ja auch nicht so schlimm“. – „Nein“, – sage ich, – „Schlimm ist das nicht, wenn keine Kinder daneben stehen“. Aber wenn es dir wehtut, und da habe ich also erlebt, dass natürlich die Gebote und die Seligpreisungen und all das, was die Kirche sagt, für den Menschen wichtig ist, und dass jeder auf seine eigene Moralstruktur in sich trägt, und das ist genau wie für den Arzt eben auch wichtig ist, mit ihm über diese Moralstruktur zu sprechen.
Ja, ich habe schon sehr lange geredet, ich höre auch gleich auf.
Ich will eigentlich nur noch über – geordnetes Gebetsleben und Fasten reden.
Solche Art fährt nur aus durch Beten und Fasten. Man muß nicht unbedingt Fasten, in dem man nicht ißt, man kann auch mal nur 50 in der Stadt fahren, oder man kann alles mögliche machen, oder die Pfeife gerade mal weglegen, und mal eine Stunde nicht rauchen, aber das ist, irgendsolche Dinge in dem Leben geschehen, die ich nicht aus vernünftigen Gründen mache, sondern um Gottes willen, oder weil ich mich vorbereite. Meine Mutter hat ja immer sehr viel, war Rezitatorin und hat viele Vorträge gehalten, noch wie sie 92 war, und die hat immer bis zum Vortrag den ganzen Tag gefastet, und erst hinterher etwas gegessen.
So ordentlich bin ich nicht, aber ich habe das auch begriffen, unser Leben muß eben doch von meiner Liebe Gott so geprägt sein, dass auch ganz praktische Dinge meines Lebens sich darin auswirken. Am einfachsten ist natürlich, wenn man die Fastengebote einhält, das ist ganz praktisch, aber es geht eben auch auf sehr viel andere Weise.
Und eben das Gebet. Ich hatte jetzt gerade eine Tagung in Kirchberg, und da habe ich dann über die Versuchungsgeschichte gesprochen. Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, – ist das nicht an uns eine Frage: brauchst Du mehr Zeit zum Essen oder mehr Zeit zum Beten? Sie brauchen sie nicht zu beantworten, aber das ist doch eine fast unheimliche Frage. Ich rede jetzt nicht vom ständigen Gebet der orthodoxen Kirche, sondern einfach auch von klarer Gebetspraxis. Ich habe mir, je älter ich wurde, immer mehr ganz angewöhnt, doch viele Stunden des Tages wirklich zu beten, auch wenn ich etwas anderes zu tun habe, weil ich einfach das Gefühl habe, das gehört zu unserem Sein, dies Gespräch mit Gott, dieses mit Ihm reden, mit Jesus Christus, sich ihm zuwenden, ihm zuhören, auch mal im Gebet darauf achten, sich immer wieder darüber wundern, und auch den Mut zu fassen, zu beten: Dein Wille geschehe – wem gebe ich denn sonst eine blanko Vollmacht für mein Leben, außer Gott, wenn ich sage: Dein Wille geschehe, weil dieses Gebet so wichtig ist.
Und eines dieser orthodoxen Gebete, und damit will ich dann auch schließen, ist etwas, was so mein Leben geprägt hat. Das wird in der Fastenzeit mehrmals am Tage von allen gebetet, aber das kann man immer beten:
Herr und Gebieter meines Lebens den Geist des Müßigganges, der Herrschsucht, der Schwatzhaftigkeit und der Verzagtheit nimm von mir, den Geist aber der Keuschheit, der Demut, der Geduld und der Liebe gib mir, Deinem Kinde.
Herr, König, laß mich meine Sünden erkennen und nicht meinen Bruder richten, denn hochgelobt bist Du in allen Ewigkeiten.
Amen.
Vielen Dank.
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