Predigt am Tage der Einführung der Allgepriesenen Jungfrau Maria in den Tempel
21.02.2007 | Thema: Predigt |
Hl. Ioann von Kronstadt
Die Engel, die den Einzug der Allreinen sahen, staunten,
wie die Jungfrau in das Allerheiligste einging
(Gesang zur 9. Ode des Kanons)
Heute feiern wir, geliebte Brüder und Schwestern, zwei Feste: Die Auferstehung Christi und die Einführung der Allheiligen Gottesgebärerin in den Tempel; das eine Fest findet allwöchentlich statt, das andere einmal im Jahr; das eine ist ein Herrenfest, das andere ein Gottesmutterfest. Gegenstand unserer Ansprache wird das Fest der Gottesgebärerin sein.
Beim Gedenken an das heilige Ereignis, das die hl. Kirche jetzt feierlich begeht, soll unser ganzes Wesen von Freude und Zittern durchdrungen sein. Denn woran denken und was feiern wir jetzt? – Die Einführung des dreijährigen Mädchens, der allgepriesenen Jungfrau Maria, in den Tempel Gottes, damit sie im Allerheiligsten zum Herrn hin erzogen, d.h. zu einer Wohnung Gottes bereitet werde. 0 unaussprechliche Freude! Denn der Herr Selbst möchte durch das junge, zuvor durch den Hl. Geist gereinigte Mädchen in die allerengste Verbindung mit den Menschen treten und auf sie seine unermeßlich großen Güter ergießen, die alles Verstehen überschreiten, nämlich: die menschliche Armut bereichern mit der Gottheit, unsere Nacktheit bekleiden, das Gestaltlose ansehnlich machen, das Unreine reinigen, das Finstere erleuchten, das Vergängliche erneuern, das Schwache stark machen. Aber mit der Freude vereint sich unwillkürlich auch Zittern. Denn Gott, der Anfangslose, Große, Unzugängliche und selbst für die Engel Furchtbare, tritt ein in allerengste Gemeinschaft mit der schwachen menschlichen Natur, der Allerheiligste mit den Sündern, wenn auch durch Buße gereinigten. Und so laßt uns dem Herrn begegnen, der zur Vereinigung mit unserer vergänglichen Natur kommt, laßt uns Ihm mit Freude und Zittern begegnen, mit Freude wegen der Größe der Wohltaten Gottes, mit Zittern wegen unserer Sünden.
Zur Ehre und Verherrlichung der allgesegneten Mutter Gottes und zu unserer Erbauung wollen wir davon sprechen, wie sich Ihre Einführung in den Tempel vollzog und danach von der hohen Bedeutung des Tempels für uns und davon, daß wir selbst Tempel Gottes werden sollen. Bekanntlich wurde die allheilige Jungfrau Maria von unfruchtbaren Eltern, Joachim und Anna, geboren, die, schon alt, sich von Gott in inständigem Gebet diese überaus gepriesene Tochter erbaten und dabei das Gelübde ablegten, ihr Kind Gott zu weihen. Und nun, als die Allheilige Jungfrau drei Jahre alt wurde, haben Ihre gerechten Eltern ihr Gelöbnis erfüllt, das sie Gott gegeben hatten und Sie feierlich in den Jerusalemer Tempel eingeführt. Die alten Väter der Kirche, die die Einführung der Gottesgebärerin besungen haben, erzählen in den heiligen Gesängen, wie die hll. Joachim und Anna in Nazareth ihre Verwandten und Freunde versammelten. Die jungen Mädchen gingen mit Kerzen in den Händen dem hl. Mädchen voran; Sie selbst führten Ihre Eltern, und ihnen folgten Freunde und Verwandte. Auf diese Weise gingen sie von Nazareth bis zum Jerusalemer Tempel. Der Hohepriester Zacharias und die Priester, die im Tempel dienten, begegneten ihnen mit Gebeten und Gesang. Die hl. Jungfrau wurde auf die erste Stufe der Freitreppe der Kirche gestellt und ging zur Verwunderung aller Anwesenden, von niemand gestützt, fest die 15 Stufen herauf und blieb erst auf der obersten stehen. Der Hohepriester führte das allreine Mädchen ins Allerheiligste, in das allein der Hohepriester nur einmal im Jahre hineinging. Die Mutter Gottes wurde nach den Worten der Kirche in den Tempel des Gesetzes eingeführt als beseelter Tempel des großen Königs. Die gerechten Eltern brachten Gott Gaben und Opfer dar und kehrten dann, nachdem sie den Segen der Priester empfangen hatten, mit ihren Verwandten nach Nazareth zurück. Die hl. Jungfrau Maria wohnte beim Tempel. Dort lebten in gesonderten Räumen junge Mädchen, die Gott geweiht waren, auch Witwen, die im Tempel dienten, ähnlich wie die Prophetin Hanna. Hier lebten auch Pilger und Fremdlinge. Ihnen schloß sich die hl. Anna, die Mutter der Gottesgebärerin, an, als sie bald nach der Einführung der allheiligen Jungfrau [in den Tempel] verwitwete; aber sie lebte nicht lange mit ihrer allheiligen Tochter; bald nach ihrem Mann übergab sie ihren Geist an Gott.
Die heilige Jungfrau wurde unter der Aufsicht älterer frommer Jungfrauen erzogen, die erfahren waren in der Hl. Schrift und in Handarbeiten. Sie arbeitete unaufhörlich, betete häufig, liebte die Lektüre der Heiligen Schrift. So wurde sie vorbereitet auf ihre hohe Bestimmung. Die Kirche nennt sie die überaus schöne Morgenröte, aus der die Sonne der Gerechtigkeit leuchtete. Gänzlich heiligte, wie ein heiliger Gesang sagt, Sie, die im Tempel war und mit himmlischer Nahrung ernährt wurde, der Allheilige Geist. Als die allreine Jungfrau in das Alter kam, in dem die Jungfrauen, die beim Tempel aufwuchsen, gewöhnlich in die Welt zurückkehrten und in den Stand der Ehe traten, da wollten die Priester, daß auch Sie so handelte. Aber die allreine Jungfrau offenbarte ihnen Ihren Wunsch, Sich Gott zu weihen und nicht in den Stand der Ehe zu treten. Da verlobten sie sie aufgrund einer Eingebung des Heiligen Geistes dem schon älteren Joseph, einem Verwandten ihrer Eltern. Er wurde der Beschützer der allreinen Jungfrau und ehrte das Gott gegebene Gelöbnis.
Die Ikone der Einführung der Mutter Gottes in den Tempel zeigt das dreijährige heilige Mädchen, wie Es die Stufen zum Tempel hinaufgeht. Das soll uns vor allem den Wunsch eingeben, [unsere] Kinder häufiger in den Tempel Gottes zu führen, sie von Kindheit an im Gebet und Hören der HL Schrift zu unterweisen, damit auch sie in Frömmigkeit aufwüchsen und immer höher stiegen auf den Stufen guter Werke und frommer Gedanken. Aber das heutige Fest lehrt uns auch alle auch, den Tempel Gottes hoch zu ehren und den Aufenthalt in ihm in Gebet Lobpreis und Danksagung zu lieben.
Der Tempel ist ein irdischer Himmel. In ihm steht der Thron Gottes,** auf dem unsichtbar der König der Herrlichkeit sitzt und unsere Anbetung, unsere Gebete, Tränen, Seufzer, Lob- und Dankopfer entgegennimmt; im Tempel sind unsere höchsten, geistlichen, ewigen Interessen beschlossen. Von ihm geht die Reinigung, Heiligung und Erneuerung unserer Seelen und Leiber aus; hier fließt unaufhörlich der Strom lebendigen Wassers, wird das Wort Gottes gelesen, werden die tröstlichsten Wahrheiten verkündigt, die Herz und Verstand nähren und entzücken; hier werden süße, himmlische, die Seele erschütternde Gesänge gesungen; hier werden alle heilsamen und uns erneuernden Mysterien vollzogen; hier fließen unaufhörlich die lebenspendenden Ströme des Blutes des Herrn Jesus Christus, die in die, die sie empfangen, ihr wunderbares, göttliches Leben, Reinigung, Heiligung und Erneuerung eingießen; hier werden die höchsten kirchlichen und bürgerlichen Feiern vollzogen, deren Gegenstand unser Heil und unsere Seligkeit in Gott sind oder das Wohlergehen und die Rettung des Vaterlandes oder seiner mächtigen Gebieter von Elend und Übel; hier finden wir Trost in Kümmernissen, Licht in Zweifeln, Kraft in Krankheiten. Hier hören wir von den wunderbaren Glaubenstaten der heiligen, Gott wohlgefälligen Diener und Freunde Gottes, unserer Beter vor Gott, und lernen, ihnen, unserer Kraft entsprechend, nachzueifern. Hier im Tempel erkennen wir die Eitelkeit und Nichtigkeit aller irdischen Güter und daß einzig die Tugend niemals stirbt; hier fühlen wir uns schließlich als Glieder des einen geistlichen Leibes der Kirche Christi und als Himmelsbürger; hier erhalten wir einen Vorgeschmack der himmlischen Seligkeit. Wie kann man nach all dem den Tempel nicht lieben, diese Grenzlinie zwischen Erde und Himmel, diese himmlische Schule, in der wir für den Himmel, für Gott erzogen werden; dieses Spital, in dem unsere seelischen Leiden, Sünden und Leidenschaften geheilt werden; diese Quelle lebendigen Wassers, wo der reinste Strom des Lebens fließt? Der Tempel Gottes ist geweiht zur Wohnung Gottes und zum Ort des Vollzugs der überhimmlischen Mysterien und des Gottesdienstes dazu, daß wir aus uns selbst, aus unseren Herzen, einen nicht von Menschenhand geschaffenen Tempel Gottes bauen; denn nach dem Wort der Schrift ist der Christ ein Tempel Gottes; „Wisset ihr nicht, daß ihr ein Tempel Gottes seid und der Heilige Geist in euch wohnt?‘ Ihr seid Kirchen des lebendigen Gottes“, sagt sie, wie geschrieben steht: „Ich wohne in ihnen und werde in sie eingehen, und werde ihr Gott sein und sie werden meine Söhne und Töchter sein, spricht der Herr, der Allmächtige“.
Und so erkennen wir schließlich unsere hohe Würde und Bestimmung, deren uns der Herr, unser Gott, gewürdigt hat; laßt uns uns selbst unaufhörlich zu einer Wohnung Gottes heranziehen, uns durch Buße, „von jedem Makel des Fleisches und der Seele reinigen und ein Heiligtum schaffen in der Furcht Gottes“. Amen.
** Im Russischen bezeichnet престол sowohl den Thron als auch den Altar (Anm. des Ubers.)
Übersetzung: Karl Christian Felmy
(Полное собранiе Сочиненiй протоiерея Iоанна Ильича Сергiева. Т.1 С.-Петербургъ 1893, 423-428)